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Einstieg in die Polarlichtjagd in Mitteleuropa

Dieser Text richtet sich an Menschen mit frischer Begeisterung für das Himmelsphänomen, aber ohne besondere Ausrüstung oder Vorkenntnisse. Leitfäden für Ambitionierte in Richtung Astrofotografie können andere Leute besser, meine Empfehlung hierfür ist der youtube-Kanal des inzwischen leider verstorbenen Alyn Wallace. Zwar auf Englisch, aber zugänglich erklärt und mit bodenständigen Vorstellungen von den finanziellen Möglichkeiten der Zuschauenden.


Inhalt: 1. Vorbereitung | 2. Beobachtungsort finden | 3. Erkennen | 4. Fotografieren


1. VORBEREITUNG

Wann kann es Polarlicht in Mitteleuropa geben?
Kurze Antwort: Nicht oft. Es ist nur vage vorhersehbarbar, aber meist mit 1-2 Tagen Vorwarnzeit.
Lange Antwort: Polarlichter entstehen durch Interaktion geladener Teilchen vom Sonnenwind mit der Erdatmosphäre. Diesen Effekt gibt es normalerweise nur um die magnetischen Pole herum. Im Fall von starken Sonnenstürmen können die Lichter aber auch weiter südlich auftreten. In Norddeutschland, dem Baltikum oder Großbritannien sind die Chancen aber wiederum höher als in Süddeutschland oder Tschechien. Und wenn die Sonne in der aktiven Phase ihres Elfjahreszyklus ist (2023-2026), auch häufiger als sonst.

Wenn ein Plasma-Auswurf (CME) die Sonne erdwärts verlässt, dauert es anders als beim Licht noch reichlich bis zum Eintreffen – je nach Geschwindigkeit ein bis drei Tage. Verschiedene Institutionen veröffentlichen dann Weltraumwetterwarnungen, wie im Screenshot der US-Wetterbehörde NOAA gezeigt. Bei Werten aufwärts von KP 6 (G2) können auch mittlere Breiten betroffen sein. Diese Voraussagen sind immer Schätzungen, tendentiell übervorsichtig hoch, da sie zum Schutz von Telekommunikationsnetzen erstellt werden. Angaben zu Ankunftzeiten und Stärke sind unzuverlässiger als irdische Wetterberichte. Normale Nachrichten melden die Sonnenstürme aber fast immer nur im Nachhinein und taugen deshalb gar nicht zur Vorwarnung.

Es gibt eine Sonnensturm-Ankündigung! Wann lohnt sich rausgehen?
Kurze Antwort: Immer! Himmelsbeobachtung macht Spaß! 😉
Lange Antwort: Heißt das die ganze Nacht draußen warten? Nein. Es muss nicht nur stockfinster sein, vor allem muss das Wetter mitspielen. Daher unbedingt überprüfen, ob der Himmel klar ist. Auch der Mond kann massiv stören. Wenn das alles passt, gibt es aber eine wunderbare Echtzeit-Vorhersage, die hilft, die Aurora-Chancen einzuschätzen: Michael Theusners Website greift unter anderen die Daten des Magnetometers in Kiruna (Schweden) ab und visualisiert sie für Deutschland. Die vielen Graphen überfordern zuerst, aber zum Einstieg braucht es nur wenige Infos davon:

Alle Uhrzeiten sind Koordinierte Weltzeit UTC (1), das ist je nach Sommer-/Winterzeit unsere Mitteleuropäische Zeit +1/2h. Nicht verwirren lassen, die Werte am rechten Rand sind immer Echtzeit, die Linien im oberen linken Fenster (2) geben sogar eine mäßig verlässliche Prognose für die nächste Stunde (im Beispiel leicht abfallend). Der geografische Breitengrad ist einstellbar (3), aber das ändert nur die Höhen der Ausschläge. Dieser Screenshot ist während einer aktiven Phase nachmittags gemacht. Nachts bringt Rausgehen bei Werten wie Abschnitt (4) wenig. Abschnitt (5) kann fotografisch lohnend sein, erst bei Abschnitt (6) wird es für Menschen mit guter Nachtsicht interessant.
Das sind aber alles nur Richtwerte, die reale Erscheinung von Polarlicht ist noch von anderen Faktoren abhängig, die hier zu weit führen. Weiter unten sind einige fotografische Beispiele gezeigt.

Weshalb diese lange Erklärung und kein Link zu einer Polarlicht-App?
Weil (grade die kostenlosen) wenig taugen! Sie nutzen oft nur den sogenannten „KP-Index“, das ist der globale Mittelwert für die Aurora-Aktivität der letzten drei Stunden. Das heißt, sie sind immer hinterher und abseits der Arktis ohnehin nicht ortsgenau.

2. WOHIN ZUM BEOBACHTEN? Location, Location, Location

Suche dir einen möglichst dunklen Platz mit freier Sicht nach Norden. Auch sollten in dieser Richtung keine starken Lichtquellen wie Städte liegen. Lichtverschmutzungskarten helfen, einen passablen Ort zu finden (mindestens grün, besser blau auf der Farbskala). Wer in der eigenen Ortschaft bleiben will, muss unbedingt weg von Wohngebieten und Straßenbeleuchtung. Erhöhte Positionen wie Hügel sind ebenfalls hilfreich. Nicht zu unterschätzen: Ihr müsst euch auf Wartezeiten einstellen, daher angepasst kleiden. Nachts unbedingt vorsichtig bewegen, Handy und eine zusätzliche Lichtquelle mitnehmen. Es erspart außerdem Stolpern, den Beobachtungsplatz im Hellen zu kennen. Gute Gesellschaft, Getränke/Snacks und ein Campingstuhl sind auch nicht verkehrt. 🙂

Unsere Augen brauchen einige Minuten, um sich an Dunkelheit zu gewöhnen, daher muss der Handy-Bildschirm eigentlich aus sein. Allerdings erkennt die Smarptphone-Kamera Polarlicht oft besser als unser Auge, daher lohnt es sich, regelmäßig mit einem Foto nordwärts zu checken.
Egal, wie gut die Vorbereitung ist, Himmelsbeobachtung jeder Art braucht vor allem Geduld und Frustrationstoleranz: Nicht sofort Heim gehen, wenn sich eine halbe Stunde nichts tut. Aurora kann auch verschoben zu den Messwerten auftreten oder überraschend wieder aufflackern.

3. ERWARTEN UND ERKENNEN

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Beispiele für Fotos und ihre Entstehungsbedingungen. Es wurden bewusst Handy-Bilder und eine Spiegelreflexaufnahme ohne Nachbearbeitung gewählt.

Polarlicht erscheint Mitteleuropa selten grün, sondern meist rötlich-pink. Das liegt daran, dass rote Aurora immer in größerer Höhe entsteht, als grüne. Und aus unserer südlicheren Position auf der gekrümmten Erdkugel sehen wir nur die obere Atmosphäre Nordeuropas. Grünes Polarlicht muss also extrem weit nach Süden reichen, um hier überhaupt in den Sichtbarkeitswinkel zu gelangen. Es gibt auch andere Farben, aber die spielen in Süddeutschland eigentlich keine Rolle.
Polarlicht in mittleren Breiten ist natürlich viel schwächer als in den Polregionen. In der Hobbybeobachtung wird deshalb nicht grundlos „Ist es Aurora oder ist es eine Wolke?“ gewitzelt. Es ist fotografisch leichter erkennbar, aber als Orientierung: Polarlicht ist immer hinter der Wolkenschicht und immer zu schwach, um Wolken anzustrahlen. Wenn eine Wolke nachts „leuchtet“, dann nur reflektiert von Sonne, Mond oder irdischem Kunstlicht. Hier ein bewusst entsättigtes Foto:

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Polarlicht ist immer auf gleicher Ebene wie die Sterne. Wenn keine Sterne sichtbar sind, ist es kein Polarlicht. Die helle Wolke rechts reflektiert den Mond, der gesamte untere Bereich (besonders der warm leuchtende links!) ist der Lichtsaum von einer Stadt. Nur das Fitzelchen pink mittig ist Aurora.

Menschliche Augen sind wirklich nicht für Nachtsicht gebaut, vor allem nicht von Farben. Selbst das Extremereignis der Mai-Stürme 2024 war im menschlichen Erleben bei Weitem nicht so bunt, wie es die Sensoren der Kameras eingefangen haben:

Links eine nachbearbeitete Langzeitbelichtung mit einer Spiegelreflexkamera (ca. 8 Sekunden, ISO 2500). In dieser Zeit kann der Kamerasensor viel mehr Lichtinformationen zu sammeln, als ein menschliches Auge. Rechts ist aus der Erinnerung eine realitätsnähere Ansicht rekonstruiert.

„Hab nen hellgrauen Streifen gesehen und paar rosa Fotos“ ist für unsere Breitengrade also ein großer Erfolg! Bearbeitete Astrofotografie ist wenig repräsentativ für Gesehenes, sie macht Geschehenes sichtbar. Meine eigene Nachtfarbsicht ist am unteren Ende von schlecht, selbst bei den Mai-Stürmen sah ich Farben nur andeutungsweise. Trotzdem stand ich fassungslos mit offenem Mund auf dem Acker, die Nacht wird mir als Lebenshighlight in Erinnerung bleiben.

Was machen während der Wartezeit?
Die Nacht genießen! Es gibt irre viel Wahrzunehmen, wenn die Augen weniger abgelenkt sind – auch wenn die nächtliche Geräuschkulisse durch Tiere gerade im Frühling etwas … beunruhigend … sein kann. Astronomie-Apps wie Stellarium (kostenlos, PC/Android/MacOS) haben einen Live-Modus, mit dem man den Himmel erforschen kann und über die verschiedenen Sterne und Planeten lernt. Sie zeigen sogar die Sternbilder, wie sie andere Kulturen sehen und haben eine Nachtmodus-Funktion, die den Blendeffekt reduziert. Hin und wieder kannst du auch der ISS winken. Also auch wenn du ohne Polarlichtsichtung nach Hause gehst, lohnt sich die unter dem Sternenzelt verbrachte Zeit.

4. FOTOGRAFIEREN

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Nordlicht und Satellitenspuren am 12.08.2024 gegen 01:00 Uhr, abgelichtet mit einem definitiv nicht astrogeeigneten LG G8, Baujahr 2019 . Belichtungszeit 20 Sek., stabilisiert mit einer Jacke auf dem Autodach. Das Foto ist bewusst nicht weiter bearbeitet.

Wie eingangs erwähnt, ist das ein Tutorial-für-alle. Daher hier Tipps für Smartphone-Fotografie ohne Zusatzausrüstung. Einige Modelle, wie zum Beispiel die des Herstellers mit Obst-Logo, haben ausgezeichnete Lowlight-Fähigkeiten. Aber auch diese kommen bei den langen Belichtungszeiten für Aurora-Fotografie an ihre Grenzen. Je nach Modell sollte am besten in einer ruhigen Nacht vorgetestet werden, ob Nachtmodus oder Manuell bessere Ergebnisse liefert. Ich würde eher letzteres verwenden, da die Kamera unbedingt auf Horizont/Sterne scharf gestellt werden muss. Hier schwächeln Automatik-Funktionen, das Handy sucht ständig nach Vordergrund-Objekten zum Fokussieren und erzeugt nur unscharfe Bilder. Die Belichtungszeiten variieren nach Kameramodell und Lichtsituation, 8-20 Sekunden sind aber realistisch. Deshalb ist eine stabile Halterung fürs Smartphone unerlässlich, idealerweise ein Stativ, aber es gibt auch schnelle Eigenbau-Lösungen. Notfalls tut es auch eine Schüssel voll Reis oder ein Kleidungsstück. Fortgeschrittene, die es perfekt haben wollen, bauen noch 1-2 Sekunden Auslöseverzögerung ein oder Lösen mit Sprachbefehl aus, um keinerlei Wackler zu haben.
Starkes Polarlicht wird von Wasser reflektiert. Wenn kein See in der Nähe ist, tut es auch ein Spiegel oder das Autodach (siehe oben). Werde kreativ, dann gibts zum Foto mehr zu erzählen!

Gute Jagd!